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Münzschatz in Pattensen

„Hallo Ann Kristin. Kannst du mal bitte rausgehen zu den Handwerkern. Die haben irgendwie Münzen gefunden…“. Es ist der 17.Mai 2024, als Eckhard Sayk mich morgens auf dem Handy anruft. Von draußen dringen die Geräusche eines Minibaggers in mein Arbeitszimmer. Die Firma Rohrreinigung Völker ist da und hebt im Garten vor dem Kirchenbüro einen neuen Abwasserschacht für das alte Pfarrhaus aus. Ich gehe hinaus zu den Handwerkern und tatsächlich stehen 3 Männer in Arbeitskleidung vor einem Erdhaufen, auf dem grün-grau verrostete Münzen zu erkennen sind. Was nun? Zunächst einmal gilt es den Fund zu bergen. Zwei Eimer aus dem Geräteschuppen dienen als vorläufige Aufbewahrungsboxen. In einem Eimer landen alle Münzen, im anderen Eimer landen alle anderen Dinge, die der Minibagger noch so ans Tageslicht befördert. Anschließend beginne ich mit dem Martall-Museum in Winsen, mit der Landeskirche in Hannover und dem Archäologischen Museum in Hamburg zu telefonieren: Wo muss der Fund gemeldet werden? Wer ist in so einem Fall zuständig? Ein paar Tage später kommt Matthias Mahn aus Scharmbeck, der für das Archäologische Museum Hamburg die Fundaufnahme im Bereich Winsen übernimmt, im Kirchenbüro vorbei, um den Fund anzuschauen und zur offiziellen Fundaufnahme vorzubereiten.

WL2024 0336 01

Im November 2024 ist es endlich so weit: die offizielle Fundaufnahme und Fundanalyse liegt vor – Zitat aus dem Fundbericht:

„gefunden bei Ausschachtungsarbeiten auf dem Grundstück Kirchenstraße 1.

Fundmeldung der EVLK (Pastorin Grundmann) über einen Münzschatz, der beim Ausheben eines neuen Schachtes 11,5 m nördlich des Wohnhauses in 1,2-1,5 m Tiefe entdeckt worden war. Rund um die Münzen waren kleine Teile von geschälten, sehr harten Pflanzenstielen zu sehen. Zitat der Bauarbeiter: "Die müssen in einem Körbchen gelegen haben." Die Münzen waren zum Teil lose, zum Teil mit einander verklumpt. Einem historischen Foto des alten Pfarrhauses ist zu entnehmen, dass der Fundort zum Zeitpunkt der Vergrabung außerhalb des Gebäudes lag.

ca. 1038 Münzen aus Kupfer, Zink bzw. Aluminium, Prägezeitraum 1918-1921 (5 Reichspfennig (4 %), 10 Reichspfennig (95 %), 50 Pfennig (1 %), 1 Stück Lüneburger Notgeld), Gesamtwert zur Prägezeit ca. 105 RM.

Beifunde: 1. Keramik (rote Irdenware, Steinzeug, Steingut), 1 Pfeifenstiel, 1 Stück Schuhleder, Tierknochen; 2. "Bodenprobe" (Erde, Steingut, Wurzeln, 1 Knopf, Gipsmörtel); 3. Bodenprobe mit Vermerk "Lag über dem Hort" (mehrere Brocken extrem poröser und dennoch harter Schlacke, sehr wahrscheinlich Koks)

Die Beifunde lassen keine weiteren Aussagen über die Fundumstände zu und sind als gewöhnliches Fundkonvolut eines innerörtlichen Grundstücks anzusehen (Abfallschicht, der Koks könnte auch als Pflastermaterial verwendet worden sein).“

Fasziniert schaue ich mir die Fotos der geputzten und sortierten Münzen an. Nun beginnt der spannende Teil: die Recherche zur Deutung des Fundes. Wer könnte die Münzen in einem Körbchen so sorgfältig auf dem Pfarrgrundstück vergraben haben? Und warum?

Ein Anruf beim Archiv der Landeskirche bringt erstes Licht ins Dunkel. Die Kirchlichen Rentämter, die Vorgänger der heutigen Kirchenkreisämter, entstanden frühstens in den 1930er Jahren. Vorher verwalteten die Kirchengemeinden alle Gelder selbst. Die vergrabenen Münzen müssen also aus der Kirchengemeinde Pattensen stammen. Aber welchen Zweck hatten sie? 

Könnte es sich vielleicht um den ersparten Notgroschen der Pfarrfamilie oder des Hausmädchens handeln, das ebenfalls zu einem ländlichen Pfarrhaushalt in jener Zeit gehörte? Dazu schreibt mir Prof. Dr. Johann Anselm Steiger von der Theologischen Fakultät Fachbereich Christentumsgeschichte und Historische Theologie in Hamburg: „um vergrabene Rücklagen dürfte es sich kaum handeln, denn die hätten aus Goldmünzen des Kaiserreichs oder zumindest aus Silbermünzen bestehen müssen. Der Materialwert der gefundenen Münzen ist ja absolut unerheblich. Wegen der kleinen Stückelung liegt natürlich der mögliche Verdacht nahe, dass hier Kollekten veruntreut und (aus welchen Gründen auch immer) vergraben wurden. Nach der Hyperinflation 1923 und der Währungsreform hatte der vergrabene 'Schatz' allerdings keinerlei Wert mehr und blieb, wo er war, weil seine 'Hebung' nicht lohnte.“

Also keine vergrabenen Rücklagen. Aber eine unterschlagene Kollekte?!

Um diese Möglichkeit zu prüfen, verabrede ich mich noch einmal Peter Dederke aus Pattensen, der sich den Fund bereits kurz nach seinem Auffinden einmal angeschaut hatte. Gemeinsam durchsuchen wir das Pfarrarchiv nach Hinweisen. In den Kirchenvorstandsprotokollen der Jahre 1922 bis Ende 1924 finden sich keine Hinweise auf Probleme mit den gesammelten Kollekten. Da bis zum 31.5.1925 Superintendent Rüppel in Pattensen im Amt war (ab 1.12.1925 Pastor Henke), war zudem durchgehend eine Aufsicht über die Kollekten vorhanden. Das älteste erhaltene Protokoll einer Gemeindevisitation aus dem Jahr 1928 unter Pastor Henke hält die sorgfältige und zuverlässige Arbeitsweise des Kirchenvorstandes in jenen Jahren fest. Beschwerden aus der Gemeinde, fehlende Gelder oder ungereimte Abrechnungen werden an keiner Stelle erwähnt, was im Rahmen der Kirchlichen Aufsichtspflicht in der Visitation an dieser Stelle sonst erwähnt werden müsste. Die These, dass die gefundenen Münzen eine unterschlagene Kollekte sein könnten, scheidet somit aus.

Auf der Seite 25 des Visitationsberichtes findet sich dann noch der Hinweis, dass es zwei eiserne Geldschränke, einen im Pfarramt und einen beim Kirchenrechnungsführer, gab, in denen die Wertpapiere der Kirchlichen Kassen verwahrt wurden. Die finanziellen Werte der Gemeinde wurden also in Form von Wertpapieren aufbewahrt und entsprechend verwaltet. Das erhärtet noch einmal die Annahme, dass es sich bei den Münzen nicht um vergrabene Rücklagen handeln kann.

Peter Dederke gelingt schließlich der entscheidende Durchbruch in der Recherche. Ein paar Tage nach unserem gemeinsamen Forschungstreffen im Archiv schreibt er mir: „Ich habe danach [nach dem Durchsehen der KV-Protokolle] die Gesetzesgrundlage für die Laufzeit der Münzen gesucht und folgendes gefunden:  In § 15 Abs. 2 des Münzgesetzes vom 30.8.1924 (Reichsgesetzblatt 1924 II, S. 254ff.) wurde folgendes bestimmt: "Die auf Grund der früheren Gesetze ausgeprägten Reichsmünzen aus Nickel, Aluminium, Eisen und Zink werden außer Kurs gesetzt und gelten nicht mehr als gesetzliche Zahlungsmittel. ...."

Da die gefundenen Münzen m.E. aus dem vorstehenden Material geprägt wurden (Silber- und Kupfermünzen galten weiterhin), waren sie nach Inkrafttreten des vorstehenden Gesetzes ungültig und nichts mehr wert. Es kann daher wohl davon ausgegangen werden, dass die im Kirchenbesitz vorhandenen Restmünzen aus diesem Material nach diesem Zeitpunkt "begraben" wurden.“

Wer hätte das gedacht?! 100 Jahre nach der Währungsreform 1923 und der Einführung der Rentenmark am 15. November 1923 haben wir die damals wertlos gewordenen Münzen, die noch in den Geldschränken des Pfarramtes lagen und „begraben“ wurden, wiedergefunden.

Und auch wenn ich mir vielleicht insgeheim eine spannendere Geschichte gewünscht hätte, so habe ich doch durch die Recherche vieles über die Geschichte der Kirchengemeinde Pattensen und die damalige Zeit gelernt. Gut, dass es Archive gibt!

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